Die Legende vom Ursprung der vietnamesischen Nation

Wohl in kaum einem anderen Land der Welt sind die Rituale und Zeremonien zur Ehrung der Vorfahren so weit verbreitet wie in Vietnam. Seit 2007 ist der 10. Tag des dritten Mondmonats offizieller Feiertag.  An diesem Tag wird in Vietnam der Gedenktag fuer die Hùng-Koenige (Giỗ Tổ Hùng Vương) begangen. Der Brauch der Anbetung der Hùng-Koenige existiert seit tausenden von Jahren und ist im ganzen Land zu einem der wichtigsten Feiertage geworden. Zur Zeremonie anlaeeslich des Todestages des ersten Hùng-Koenigs in der Tempelanlage in der Provinz Phú Thọ wo sich frueher etwa 100km noerdlich von Hanoi die Hauptstadt des Reiches befand, versammeln sich jedes Jahr mehrere Millionen Menschen.

Nach der Ueberlieferung wird Koenig Kinh Dương als Urahne des vietnamesischen Volkes bezeichnet. Er wurde unter dem Namen Lộc Tục als einer von zwei Soehnen von Đế Minh, eines Urenkels des mythischen Kaisers und Ahnherrn des Ackerbaus Thần Nông, und einer Goettin geboren. Đế Minh teilte sein Reich unter seinen Soehnen auf. Lộc Tục bekam den suedlichen Teil, den er als Kinh Dương Vương etwa 2000 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung regierte. Kinh war mit der Tochter des Koenigs Thần Long verheiratet und diese gebar ihm einen Sohn namens Sùng Lãm, der spaeter als Thronfolger den Namen Lạc Long Quân annahm.

Lạc Long Quân nahm die liebliche Gebirgsfee Âu Cơ zur Frau, nachdem er sie vor einem Monster gerettet hatte. Âu Cơ brachte einen Sack mit hundert Eiern zur Welt, woraus einhundert Soehne schluepften. Diese wurden die Urahnen der Bách Việt und Âu Cơ wird auch heute noch als die "Urmutter" aller Vietnamesen bezeichnet.

Eines Tages sagte Koenig Lạc Long zu seiner Frau Âu Cơ: "Ich bin Drache und du eine Fee, das ist wie Feuer und Wasser. Unser Beisammensein ist zu schwierig." So nahmen sie Abschied voneinander. Fuenfzig Soehne gingen mit der Mutter in die Berge, die anderen fuenfzig zogen mit dem Vater in den Sueden ans Meer (gemeint ist das Delta des Roten Flusses). Der aelteste Sohn wurde zum Thronfolger ernannt und unter dem Namen Hùng Vương (Koenig Hùng) bekannt. Er gab seinem Reich den Namen Văn Lang und teilte es in 15 Regionen auf. Es umfasst den groessten Teil des heutigen Nordvietnam und reichte im Sueden bis in die heutige Provinz Quảng Trị.

Diese Regionen sind also die "Wiege" der Vietnamesen. Von dort aus sollten sie Jahrhunderte spaeter ihren "Marsch in den Sueden" antreten, das Reich Champa besiegen und das Mekong Delta besiedeln.

Das Reich Văn Lang und die Hồng Bàng-Dynastie der Hùng-Koenige existierte von von 2919 (andere Quellen sprechen von 2879 bzw von 3079) bis 258 vor Beginn der Zeitrechnung. Im Jahre 258 v.B.d.Z. wurde der letzte Hùng-Koenig von Thục Phán, dem Herrscher des Reiches Âu Việt besiegt, der als Koenig An Dương Vương den Thron bestieg und die Reiche Văn  Lang und Âu Việt zum Staat Âu Lạc vereinigte.

Die Legende ist in vielen verschiedenen Versionen ueberliefert. Auch beim Volk der Mường gibt es sie. Die Mường sind die drittgroesste Minderheit Vietnams. Sie gehoeren zu den Ureinwohnern der Region und sind von allen Minderheiten am engsten mit den Kinh (Vietnamesen) verwandt. In der Version der Mường schluepfen aus den 100 Eiern 50 Soehne und 50 Toechter. Nach der Trennung von Lạc Long Quân und Âu Co wurden die 50 Kinder, die mit Âu Co in die Berge zogen, die Urahnen der Mường und die anderen 50, die mit Lạc Long Quân ans Meer zogen und die Ebene und die Kueste besiedelten, die Vorfahren der Kinh. Diese Variante klingt fuer mich sehr logisch. Aber so eine uralte Lengende muss ja nicht unbedingt logisch nach unserem heutigen Verstaendnis sein.

Der Staat Văn Lang  war der erste embryonale Staat Vietnams. Er war noch sehr primitiv, aber er konnte die Menschen zusammenfuehren. Aufgrund des guten Verhaeltnisses der Menschen innerhalb dieser Gemeinschaft formte sich das Bewusstsein zur Gesellschaft und zu den Landsleuten. Die Menschen fingen an, die Beziehungen zwischen Mensch und Natur zu verstehen. Sie erkannten die Staerke einer Gemeinschaft bei den Be- und Entwaesserungsarbeiten, beim Austausch von Produkten und im Kampf zum Schutze der Doerfer des Landes.