Die Partei und das Volk

Vetternwirtschaft betreiben heisst, nur auf die Meinung derjenigen hoeren und nur diejenigen im Amte belassen, zu denen man gute Beziehungen hat, ganz unabhaengig davon, ob sie fuer die Arbeit geeignet oder ungeeignet sind. Oder umgekehrt, wenn man sich mit jemand schlecht stellt, gibt man ihm, selbst wenn er begabt ist, nicht die Moeglichkeit, sich emporzuarbeiten und hoert nicht auf seine Meinung, wie richtig sie auch sein mag. Das ist ein sehr gefaehrlicher Fehler. ...

 

Ein Funktionaer, der in einem Kreis arbeitet, fuehlt sich als kleiner Koenig und missbraucht seine Macht. Die uebergeordneten Organe behandelt er geringschaetzig, den Untergebenen gegenueber benimmt er sich wie ein allmaechtiger Herr. Zu den Volksmassen verhaelt er sich wie ein Mandarin, der Angst und Schrecken verbreitet. Diese Neigung zur Selbstherrlichkeit ist der Grund fuer viele Antipatien und Streitigkeiten, fuer die Entfremdung zwischen den ueber- und untergeordneten Organen, zwischen den Parteiorganisationen und dem Volk.

 

Es gibt auch Genossen, die nur an Dienstraenge denken und sich um Posten von Komiteemitgliedern, Vorsitzenden usw. streiten. Es gibt Genossen, die sich nur darum kuemmern, gut zu essen und sich elegant zu kleiden. ... Es gibt Genossen, die hochmuetig und selbstzufrieden werden. Sie sind der Ansicht, dass es ... niemand gibt, der sich mit ihnen vergleichen koennte.

Diese Worte schrieb Hồ Chí Minh am 1. Maerz 1947 in Paris in seinem Brief an die Genossen in Nordvietnam. Leider sind sie auch heute noch hochaktuell. Sie kamen mir nach einer Zusammenkunft unserer Parteigruppe, bei der es in einer sehr wichtigen Frage erhebliche Differenzen gab, wieder in den Sinn. Als eine erst vor knapp drei Jahren aus Hanoi zugezogene werde ich von einigen Alteingesessenen immer noch mit ziemlichem Misstrauen betrachtet.

 

Eigentlich haette ich ja gewarnt sein muessen durch das  Theater um meinen Hausbau vor einigen Jahren. In Behoerden und Verwaltungen von der Gemeinde- ueber die Distrikts- bis hin zur Provinzebene sitzen eine Menge "Beamte", deren einzige Qualifikation fuer dieses Amt darin besteht, Sohn oder Tochter einer einflussreichen Familie zu sein. So schlug mein Versuch, verkrustete Strukturen wenigstens etwas aufzubrechen, komplett fehl. Trotzdem werde ich mich auch weiterhin aktiv in die Kommunalpolitik einmischen, denn ganz allein stand ich mit meiner Meinung zum Glueck nicht da.

Viele Gruesse
Cathrin