Paracel und Spratly - Die Geschichte eines Konfliktes

Paracel und Spratly sind die international gebraeuchlichen Namen fuer zwei Inselgruppen im Suedchinesischen Meer, das in Vietnam Biển Đông (Ostmeer) heisst. Die Paracel-Inseln (vietnamesisch Hoàng Sa) bestehen aus etwa 30 Inseln, Korallenriffen, Atollen oder Sandbaenken, die zum Teil bei Flut unter dem Wasserspiegel verschwinden. Zerstreut auf einer Flaeche von ca. 15.000 Quadratkilometern liegen sie vor der zentralvietnamesischen Kueste etwa auf der Hoehe von Huế, 170 Seemeilen von Haiphong und 150 Seemeilen von der chinesischen Insel Hainan entfernt. Die Spratly-Inseln (vietnamesisch Trường Sa) sind ebenfalls ein Archipel aus ueber 100 Inseln, Korallenriffen und Sandbaenken. Sie bedecken eine wesentlich groessere Flaeche im Sueden des Ostmeeres, ziemlich genau in der Mitte zwischen Suedvietnam, dem malaysischen Teil der Insel Borneo und der zu den Philippinen gehoerenden Insel Palawan. Sie verteilen sich auf eine Flaeche von 170.000 Quadratkilometer, 250 Seemeilen von vietnamesischen Hafen Cam Ranh und 522 Seemeilen von Hainan entfernt.

Sowohl Vietnam als auch China berufen sich bei ihrem Anspruch auf die beiden Inselgruppen auf historische Dokumente, die beweisen sollen, dass die Inseln von der jeweiligen Nation in der Form der Besetzung eigentumslosen Landes in die eigene territoriale Hoheit uebergegangen sind. Allerdings hat China seine Ansprueche erst im 20. Jahrhundert wieder angemeldet und mit militaerischen Aktionen teilweise durchgesetzt, nachdem Vietnam im 17. und 18. Jahrhundert dort dauerhaft Stuetzpunkte und Siedlungen unterhalten hatte. So sind die Paracel-Inseln erst waehrend des Vietnamkrieges im Jahre 1974 komplett von China besetzt worden.

Durch fruehe Landkarten aus dem 17. Jahrhundert und Dokumente des Koenigshofes ist die Besiedlung beider Inselgruppen durch Vietnamesen belegt. Die Spratlys waren Teil des vietnamesischen Distriktes Chuong Nghia. Sogenannte Hoàng Sa Brigaden weilten damals regelmaessig sechs Monate im Jahr auf den Paracel-Inseln, um Seefruechte zu ernten. Die Nguyễn-Fuersten sandten jaehrlich 18 Boote aus, um die Inseln zu versorgen und zu erforschen. Eine ganzjaehrige kontinuierliche Besetzung gab es bereits vor der Herrschaft der Nguyễn-Dynastie (begann 1802). Jedenfalls findet sie in vielen Dokumenten aus dem 18. und 19. Jahrhundert ausfuerliche Erwaehnung, darunter in der beruehmten Chronik Đại Nam thực lục.

Die Tatsache, dass es erst im 20. Jahrhundert ueberhaupt andere als vietnamesische Ansprueche auf die Inseln gegeben hat, werten vietnamesische Historiker als Beweis dafuer, dass sie vorher eigentumslos waren und Vietnam sie als erstes Land rechtmaessig in Besitz genommen hat. Dieser Anspruch wird untermauert von Zeugnissen europaeischer Missionare und Seefahrer.

Seit 1950 beansprucht China die Seehoheit ueber fast das gesamte Suedchinesische Meer, bis nahe an die Kuesten Vietnams, der Philippinen und Malaysias, 1.500 Kilometer entfernt vom suedlichsten Punkt Chinas auf der Insel Hainan. 1951 erklaerte Zhou En Lai die beiden Inselgruppen aus Anlass des San Francisco Vertrages als chinesisches Territorium. Gemaess der Genfer Konferenz, auf der 1954 die voruebergehende Teilung Vietnams beschlossen wurde, wurden die beiden Inselgruppen jedoch als vietnamesisches Territorium aufgefasst. 1974 besetzte die chinesische Marine die Paracel-Inseln und vertrieb die suedvietnamesischen Truppen, die dort stationiert waren. 1988 versuchte die chinesische Marine auch die Spratly-Inseln zu besetzen. Am 3. Marz kam es zu schweren Seegefechten mit vietnamesischen Versorgungsschiffen, bei denen etwa 80 Seeleute starben. Von chinesischer Seite zitierte Dokumente aus dem 3. sowie dem 11. und 19. Jahrhundert sind in der Regel Reiseberichte, die zwar den Besuch von chinesischen Seefahrern auf den Inseln, nicht aber eine Besetzung oder gar Besiedlung bezeugen.

 

Die franzoesische Kolonialmacht, die Vietnam Mitte des 19. Jahrhunderts besetzte, betrachtete jedenfalls die Inseln als ihrem Protektorat zugehoerig. 1930 wurden vom Gouverneur Schiffe dorthin entsandt. Unter dem Kaiser Bảo Đại wurden die Paracel-Inseln 1938 durch ein Edikt der Provinz Thừa Thiên unterstellt. Von 1939 bis 1945 gerieten beide Inselgruppen, von den Franzosen bis zuletzt verteidigt, unter japanische Herrschaft. In den Dokumenten der sogenannten Kairo-Konferenz, auf der 1943 Churchill, Roosevelt und Tschiang Kai Shek ueber einen Waffenstillstand zwischen China und Japan verhandelten, werden die Inseln bei der Aufzaehlung der Gebiete, die die Japaner an China zurueckzugeben haetten, nicht erwaehnt. 1946 besetzten gemaess des Potsdamer Abkommens nationalchinesische Truppen Teile von Vietnam und damit auch die Inseln. 1947 kamen die Franzosen zurueck und besetzten sie erneut. Leuchttuerme wurden gebaut, Funkstationen und meteorologische Beobachtungsbasen eingerichtet.

Auf keiner internationalen Konferenz nach dem 2. Weltkrieg wurden die Ansprueche der verschiedenen vietnamesischen Repraesentanten auf die beiden Inselgruppen in Frage gestellt. So erscheint es konsequent, dass 1951 auf der Konferenz von San Francisco, wo ueber den Friedensvertrag mit Japan verhandelt wurde, eine Zusatzklausel, nach der die Inseln an China gehen sollten, mit 46 gegen 3 Stimmen abgelehnt wurde. Auf der Genfer Konferenz von 1954 gingen die beiden Inselgruppen dann auch folgerichtig offiziell an Suedvietnam und wurden von Frankreich an die suedvietnamesischen Truppen uebergeben. Erst 1956 erfolgte der erste Versuch Chinas, die Paracel-Inseln zu erobern. Er endete mit einem Teilerfolg. Erst nach mehreren weiteren militaerischen Aktionen konnten chinesische Truppen schliesslich 1974 die gesamte Inselgruppe besetzen. Suedvietnam rief daraufhin den UNO-Sicherheitsrat an. Der lehnte allerdings, genau wie die um Hilfe gebetene US-Regierung, ein Eingreifen ab.

 

Demgegenueber gab es seit 1958 unklare und deshalb missverstaendlich interpretierte Aeusserungen von nordvietnamesischen Politikern. die den Schluss nahelegen, die DRV habe damals in dieser Frage nicht mit ihrem engsten Verbuendeten Streit anfangen wollen und mit der Bereitschaft zu spaeteren Verhandlungen die eigenen Ansprueche relativiert. Die diplomatische Note von Ministerpraesident Phạm Văn Đồng an Zhou En Lai aus dem Jahre 1958, in der er Chinas Seegrenzen respektierte, erwaehnt jedoch die beiden Inselgruppen ausdruecklich nicht. In den 1960er und fruehen 1970er Jahren war der Anspruch auf die Inseln wohl der einzige Punkt, in dem die Regierungen des geteilten Vietnam uebereinstimmten. Nach der Befreiung waren die Spratly- und Paracel-Inseln stets einer von mehreren strittigen Punkten zwischen Vietnam und China, deren Aufgreifen jeweils als ein Indiz fuer den Stand der Beziehungen gelten konnte.

 

Viele Gruesse

Cathrin